… Wut verschwinde, hat kein‘ Zweck.“ So lautete der Refrain eines Liedes, das zu meiner Grundschulzeit von meinen Lehrkräften und Eltern rauf und runter gesungen wurde. Ich voll am Durchdrehen und komplett überfordert mit meiner Wut. Meine Bezugspersonen lächelnd und singend vor mir. Eine grauenhafte Erinnerung.
Meine Eltern haben nicht immer versucht, meine Wut singend und lachend zu vertreiben. Als ich kleiner war, wurde ich bei Wutausbrüchen in mein Zimmer geschickt oder vors Haus. Wut hatte keinen Platz bei uns Zuhause.
Da war das Anstimmen eines Anti-Wut-Liedes schon ein regelrechter Fortschritt. Immerhin wurde ich nicht mehr aus dem Raum oder Haus verbannt und meine Eltern konnten meine Wut – zumindest für eine kurze Weile – aushalten. Dafür bin ich dann freiwillig aus dem Zimmer gestürmt – wutentbrannt und manchmal auch in Tränen aufgelöst. Weg von diesen verständnislosen Idioten. Weg von diesen ungerechten Ignoranten.
In meiner Ursprungsfamilie hatten Gefühle wenig Platz. Negative überhaupt nicht, positive nur in gemäßigter Form. So war zum Beispiel auch eskalierende Freude ein Grund zum Anstoß. „Spinnst du jetzt komplett“ – war ein Satz, den ich des Öfteren gehört habe, wenn ich quietschfidel und aufgedreht im Wohnzimmer tanzte.
Jetzt ist es aber so, dass man als Mensch nun mal Gefühle hat. Und zwar nicht gerade wenige. Und auch nicht immer nur die angenehmen. Da wirst du mir vermutlich zustimmen, denn es wird wohl einen triftigen Grund haben, weswegen du diesen Blog-Beitrag liest.
Was also tun als Kind, als Mensch, der Gefühle hat und diese noch nicht in Zaum halten kann? In meiner Kindheit gab es schließlich nur eine Lösung: Runterschlucken, wegstecken – ganz tief, damit niemand etwas davon mitbekommt. Wenn es mir nicht gut ging, zog ich mich in mein Schneckenhaus zurück. Probleme machte ich mit mir alleine aus. Denn meine Eltern kamen nicht klar mit meinen Tränen, meinem Ärger, meiner Empörung, meinem Stress …
Mit dem Wegstecken kam ich eine ganze Weile gut zurecht. Besser noch: Ich passte mich an, war brav und stets hilfsbereit. Bis zur Pubertät. Da war dann Supergau. Nach der Schulzeit kamen der Berufseinstieg und danach Studium. Ich war wieder angepasst, strebsam. Zwar immer am Limit, aber hey, ich kam mit allen gut klar. Das war doch die Hauptsache, oder?
Dann wurde ich Mama.
Ganz ehrlich? Ich war komplett überfordert. Ich kam so krass an mein Limit, musste aber jedes negative Gefühl herunterschlucken, in mich hineinfressen und weiter kämpfen. Jahrelang war ich am Rande eines Burnouts.
Und meine Kids? Wie ist es denen ergangen, mit ihrer Wut, mit ihrem Ärger?
Du kannst es dir vermutlich denken: Bei uns war ständig Alarm. Diskussionen und Geschwisterstreit am laufenden Band.
Obwohl ich mir doch so fest vorgenommen hatte, es anders zu machen als meine Eltern: Ich wollte doch liebevoller, verständnisvoller und präsenter sein. Das habe ich in vielen Bereichen auch geschafft, aber nicht bei überschäumenden Gefühlen.
Ich hatte nie gelernt, mit meinen großen Gefühlen umzugehen. Ich wusste nur: „Gefühle sind schlecht.“ Und ich habe mir verboten, viel zu fühlen.
Das fiel jetzt auf mich zurück, und zwar gleich dreifach. Meine drei Kids sind sehr reizoffen und schnell überfordert. Dass sie meine Begleitung durch ihre starken Gefühle gebraucht hätten, das lag damals nicht in meinem Ermessensspielraum. Ich konnte ihnen nicht helfen, ihre Gefühle zu regulieren, denn ich wusste selbst nicht, wie das geht. Schlimmer noch: Indem sie ihren Gefühlen freien Lauf ließen, triggerten sie meine verbotene Gefühlswelt. Das versuchte ich mit aller Kraft zu verhindern. Und so lernten auch meine Kinder: Gefühle sind schlecht und dürfen nicht gezeigt werden.
Hallo Teufelskreis! Ich tappte ungewollt voll in die Fußstapfen meiner Eltern.
Eines Tages ging mir ein Licht auf und ich erkannte diese ungute Dynamik. Ich musste etwas ändern, so konnte das nicht weitergehen. Zu meinem [und unser aller Familien-] Glück stieß ich auf die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Sie war und ist bis heute unsere Rettung und ermöglicht mir ein solch erfülltes Zusammensein mit meinen Kindern, wie ich es mir nie hätte erträumen lassen.
Vielleicht kommt dir meine Geschichte bekannt vor? Vielleicht war es bei dir genauso, dass starke Gefühle nicht gezeigt und ausgelebt werden durften? Vielleicht bist du auch – genau wie ich damals – komplett überfordert mit der eskalierenden Wut deines Kindes? Und wie steht es um deine eigenen Gefühle? Schluckst du alles runter oder hast du selbst maßlose Wutanfälle?
Wenn Wut in deiner Familie eine große Rolle spielt, dann möchte ich dir meinen Minikurs „Wut tut gut – Ein neuer Umgang mit starken Gefühlen“ ans Herz legen. Dort leite ich dich Schritt für Schritt durch deinen Prozess: Weg von Überforderung, Gefühlsstarre oder eigenen Wutausbrüchen, hin zu einem kraftvollen Standing gegenüber allen starken Gefühlen.
Du lernst zunächst dich selbst zu regulieren und dich zu akzeptieren, mit all deinen Gefühlen. Der liebevolle Umgang mit deinen eigenen kleinen und großen Gefühlen ist die Basis für ein friedliches Zusammenleben mit deinen Kids und die Voraussetzung für Co-Regulation [also die heilsame Begleitung der Gefühle deines Kindes].
Im nächsten Schritt zeige ich dir, wie du dein Kind durch seine stürmischen Gefühle begleiten kannst und damit optimal co-regulierst. Das mag dir zum aktuellen Zeitpunkt unmöglich erscheinen, aber du kannst es schaffen, der Fels in der Brandung zu sein. Nicht von heute auf morgen, aber nach und nach.
Hier findest du alle Infos zu meinem Minikurs „Wut tut gut – Ein neuer Umgang mit starken Gefühlen“.
Ich wünsche dir viele wohltuende Erkenntnisse damit und viel Freude und Leichtigkeit im Üben mit deinen Kids.